Es sich gut gehen lassen bei MS

Die Nurse Greta Pettersen plädiert für grösstmögliche Normalität – trotz Multipler Sklerose, denn: „MS-Patienten wollen vor allem so leben, wie alle anderen auch.“ Dazu gehört, sich vor allem nicht mit unnötigem Stress zu belasten und regelmässig Pausen einzulegen. Es gilt das richtige Mass zu finden. Zudem zeigt ihre Erfahrung, dass es gar nicht so viel braucht, um am Leben mit all seinen Facetten teilzunehmen.

MS kann die körperliche und kognitive Leistungsfähigkeit einschränken – wie können MS-Patienten damit am besten umgehen?

MS ist eine Krankheit mit verschiedenen „Gesichtern“, das ist sehr speziell. Es gibt Krankheiten, bei denen kann man ziemlich genau sagen, jetzt geschieht dieses oder es verläuft bald so oder das passiert als nächstes. Bei einer MS-Erkrankung ist es wirklich individuell. Das bedeutet: Man kann sich kaum auf etwas vorbereiten und man muss vieles ausprobieren. Ich empfehle den Betroffenen, eine Art Liste oder Tagebuch zu führen und aufzuschreiben: Wann tritt die Müdigkeit auf? Wann bestehen die kognitiven Probleme? Im nächsten Schritt geht es darum, ob man gewisse Muster erkennen kann, zum Beispiel: Okay, die Müdigkeit tritt jeden Mittag auf. Warum am Mittag? Bin ich erschöpft oder habe ich gerade gegessen und fühle mich deswegen schläfrig?

Es gilt konkret herauszufinden, was los ist. Das heisst: „to face the problems“. Es kann nämlich durchaus sein, dass man einfach eine fixe Vorstellung im Kopf hat. Auch bei kognitiven Problemen lautet die Frage: Treten sie immer zur gleichen Zeit oder nur bei bestimmten Aktivitäten auf? Durch die genaue Beobachtung findet man auch Lösungen. Manchmal hilft es schon, den Tagesrhythmus ein bisschen zu verändern und mehrere kleine Pausen einzuplanen.

Welche Bedürfnisse haben MS-Betroffene und welche kommen häufig zu kurz?

Die meisten möchten gerne arbeiten, das ist ihnen enorm wichtig. In diesem Bereich geben sie sehr, sehr viel Energie. Sie möchten nicht krank werden, sie möchten normal leben und alles mitmachen – wie alle anderen auch. Mit der Unterstützung der Familie und von Freunden geht das im Grossen und Ganzen gut.

Aufgrund meiner Erfahrung gibt es nichts Spezielles, was bei MS-Patienten zu kurz kommt. Dieses »zu kurz kommen« ist auch kein Thema, das die Patienten ansprechen. Wenn man sich die Kräfte gut einteilt, dann ist meist ein normales Leben möglich. Mit MS kann man gut leben, Kinder haben, reisen, Sport treiben. Ausser, wenn man einen Schub durchmachen muss oder sich Symptome verstärken bzw. nach einem Schub nicht vollständig zurückbilden.

MediService-Nurse Greta Pettersen

Wie wichtig sind kleine Auszeiten vom Alltag? Was können Betroffene tun, um zu entspannen?

Mit einer individuellen medizinischen Therapie und guter Begleitung stehen MS-Patienten gut im Leben. Was man zusätzlich machen will, sei es Yoga oder Meditationen, finde ich in Ordnung. Es gibt kein Limit. Das Tolle ist, dass wir mit jedem Betroffenen über seine Bedürfnisse sprechen und auch Tipps zum Thema Ernährung und Bewegung geben können. Persönlich halte ich tägliche Bewegung für wichtig, das gilt aber für jeden – mit oder ohne MS. Aber auch ausreichende Ruhepausen gehören dazu. Und grundsätzlich ist es eh am Wichtigsten, das zu tun, was einem Freude bereitet!

Zeit mit Freunden, der Familie, dem Partner zu verbringen, kann bereichern. Wie gelingt es MS-Patienten, die Balance zu halten?

An dieser Stelle muss ich eine Einschränkung machen: Ich sehe keine MS-Patienten, denen es sehr schlecht geht. Meine Patienten sind alle fit. In der Romandie habe ich vielleicht zwei Patienten im Rollstuhl. Diejenigen Patienten, denen es wirklich nicht gut geht und die zum Beispiel einen Schub haben, die sind im Spital und werden dort auch rundum betreut.

Die Patienten, die meine Kollegen und ich begleiten, sind wie Sie und ich. Deshalb machen die das Gleiche wie Sie und ich: Sie finden irgendwie die Balance. Sie versuchen, den Stress in ihrem Leben zu reduzieren – wie Sie und ich, und es gelingt häufig und manchmal eben nicht. Meine Empfehlung bei den ersten Besuchen und Gesprächen gilt eigentlich für die ganze Betreuung: Bitte nichts übertreiben, es gibt keinen Grund für „Spitzensport“. Es ist wichtig und förderlich regelmässige Pausen einzulegen – das tun nämlich gerade kluge Spitzensportler auch!

Haben Sie einen konkreten Wohlfühl-Tipp für MS-Betroffene?

Das ist ein Tipp – ganz besonders an die Leserinnen: Auch an sich selbst denken. Wir Frauen denken nämlich immer und zuerst an alle anderen und vergessen uns selbst darüber leider viel zu oft.