Die Bedeutung von Achtsamkeit für MS-Patienten

Kaum ein anderer Begriff hat in den letzten Jahren so viel mediale Aufmerksamkeit gewonnen wie »Achtsamkeit«. Seminare und Coaching-Angebote spriessen aus dem Boden, und kein Bereich des Lebens wird mehr ausgeklammert. MS-Nurse Greta Pettersen beobachtet in ihrer täglichen Arbeit, das MS-Betroffene sehr achtsam sind – das zeigt sich vor allem darin, dass sie eine hohe Sensibilität für sich selbst und für andere besitzen.

Achtsamkeit als Kraftquelle – wie wichtig ist es ihrer Meinung nach, dass MS-Betroffene achtsam mit sich umgehen?

Ich denke, Achtsamkeit ist wichtig für alle. Sie ist für jeden Menschen die Basis einer guten Beziehung mit sich selbst, aber auch im Beruf oder im Privatleben. Manchmal muss man aufpassen, dass MS-Betroffene nicht zu achtsam – man könnte auch sagen „übervorsichtig” werden – und dadurch sogar mehr in Stress geraten. Zugleich müssen sie achtsam sein und reagieren, wenn sie bemerken, dass sich ein Schub anbahnt.

Es geht darum, eine gute Balance zu finden: Die Patienten sollen zwar auf sich achten, aber nicht übersensibel reagieren. Sie sollen so normal wie möglich leben können und müssen idealerweise nichts an ihrem gewohnten Leben ändern oder anders machen. Normalität ist das Ziel.

Wie würden Sie selber Achtsamkeit definieren?

Achtsamkeit heisst für mich, dass man auf die eigenen Bedürfnisse und Wünsche eingeht. Achtsam mit seinem Körper und seiner Seele umgeht und das in jeglicher Hinsicht. Auf die MS bezogen bedeutet Achtsamkeit für mich zu reagieren, wenn etwas nicht normal ist. Wenn man ein physisches oder psychisches Symptom hat, dass man mit jemandem redet. Oft denken die Betroffenen, dass es morgen bestimmt wieder besser oder wieder vorbei ist. Doch es ist wichtig, dass sie sich direkt bei ihrem Behandlungsteam – sei es ihrem Arzt oder ihrer MS-Nurse – melden. Nur dann kann ihnen schnell und effizient geholfen werden. Wichtig ist, dass Patienten gerade während einer medikamentösen Therapie wachsam auf ihren Körper hören sollten. Denn treten Symptome erneut auf oder kommen neue Symptome hinzu, ist es immer ratsam umgehend seinen behandelnden Neurologen aufzusuchen.

MediService-Nurse Greta Pettersen

Ein bewusster Umgang mit sich selbst ist auch für Partner und Familienmitglieder von MS-Patienten wichtig. Wie sind da Ihre Erfahrung?

Mein Eindruck ist, dass Multiple Sklerose die Partner und Familien oftmals mehr zusammen schweisst. Ich sehe nicht viele, die sich scheiden lassen oder es wegen der Krankheit bereits sind. Betroffene und ihre Angehörigen haben eine hohe Sensibilität füreinander und das Wohlbefinden des anderen. Sie achten aufeinander und wollen, dass es dem anderen stets gut geht.

Welche Tipps können Sie MS-Betroffenen für mehr Achtsamkeit geben?

Nichts Spezifisches, was nicht auch für Sie und für mich und alle anderen gelten würde. Man sollte grundsätzlich auf seinen Körper und Geist hören. Einfach das tun, was einem guttut.

Welche Kraftquellen können MS-Betroffene ebenfalls nutzen?

Man sollte nicht zu viel allein sein. Vor allem soll man sich nicht isolieren, das ist enorm wichtig. Wenn das passiert, dann ist es schlecht für jeden Menschen. MS-Patienten betrachte ich nicht als krank, ich sehe sie als normale Menschen mit besonderer Herausforderung, die man in den Alltag integrieren muss.

Jeder Mensch hat seine Vorlieben, die dann auch als Kraftquellen dienen. Die können wir gemeinsam evaluieren. Beispielsweise würde ich nie einen Patienten dazu drängen, Sport zu machen, wenn er Sport „hasst“. Bewegung, die wichtig ist, kann auch mit einem Hund stattfinden. Ein Hund ist gut, durch ihn trifft man andere Leute und kommt regelmässig raus an die frische Luft.