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NMOSD – was ist das?

Bei den Neuromyelitis-Optica-Spektrum-Erkrankungen oder kurz NMOSD (engl.: neuromyelitis optica spectrum disorders) handelt es sich um eine Gruppe seltener Autoimmunerkrankungen des zentralen Nervensystems.

Was versteht man unter NMOSD?

Die Abkürzung NMOSD steht für eine Gruppe seltener, chronisch-entzündlicher Autoimmunerkrankungen des zentralen Nervensystems, bei denen das körpereigene Immunsystem des Patienten insbesondere Nervenzellen im Rückenmark und in den Sehnerven schädigt.

Auch das Gehirn kann betroffen sein. Diese Erkrankungen verlaufen schubförmig und können rasch zu schweren körperlichen Beeinträchtigungen führen.

Früher wurde die Neuromyelitis optica (NMO) auch als Devic-Syndrom bezeichnet (nach dem französischen Arzt Dr. Eugène Devic, der die Erkrankung 1894 zum ersten Mal beschrieb) und als eine Unterform der Multiplen Sklerose (MS) angesehen. Doch heute grenzt man NMOSD klar von der MS ab.

Wie kommt es zu Autoimmunerkrankungen?

Unser Immunsystem soll den Körper vor Krankheitserregern wie Bakterien und Viren schützen. Im Normalfall erkennt das Abwehrsystem krankmachende Keime als «fremd» und bekämpft sie. Bei einer Autoimmunerkrankung liegt eine Fehlfunktion des Immunsystems vor: Der Körper bildet so genannte Autoantikörper gegen körpereigene Strukturen – das Immunsystem greift nun fälschlicherweise körpereigenes Gewebe an und schädigt dieses. Die Fehlfunktion des Immunsystems führt dazu, dass sich im Verlauf einer Autoimmunerkrankung chronisch entzündliche Prozesse abspielen, die entweder auf bestimmte Organe und Gewebe beschränkt sein können oder sich im gesamten Körper bemerkbar machen.

Was geschieht bei NMOSD im Körper?

NMOSD zählen zu den Autoimmunerkrankungen. Ziel der Autoimmunvorgänge bei NMOSD ist insbesondere das Wasserkanal-Protein Aquaporin 4 (AQP4), das sich in verschiedenen Zellen findet – unter anderem an der Oberfläche von Stützzellen (Astrozyten) im Gehirn, Rückenmark und Sehnerv. Der Wasserkanal AQP4 ist wichtig, um den Flüssigkeitshaushalt im Gehirn zu regulieren und er scheint auch an der so genannten Blut-Hirn-Schranke beteiligt zu sein, die das Gehirn vor schädlichen Substanzen im Blut schützt.

Zwar ist noch nicht in allen Einzelheiten geklärt, wie sich NMOSD entwickeln, doch bei einem Grossteil der Betroffenen greift das körpereigene Immunsystem AQP4 an: Etwa 75 % der NMOSD-Patienten weisen in ihrem Blut fehlgerichtete Antikörper gegen AQP4 auf, die bei diesen Patienten vermutlich eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Erkrankung spielen.

Darüber hinaus sind an der Entwicklung von NMOSD zahlreiche Entzündungszellen und Entzündungs-Botenstoffe beteiligt. Diese Entzündungsvorgänge zerstören die schützende Umkleidung von Nervenfasern und führen schliesslich zu einem Absterben von Nervenzellen.

Wie können sich NMOSD bemerkbar machen?

NMOSD können von Patient zu Patient sehr unterschiedlich verlaufen, die Symptome können mild oder auch schwer ausgeprägt sein. Manche Patienten erleben nur eine Episode einer Sehnervenentzündung (Optikus-Neuritis) oder einer Rückenmarksentzündung (Myelitis), erholen sich gut von den Symptomen und erleiden über lange Zeit keinen weiteren Schub. In schwereren Fällen treten jedoch wiederholte Schübe auf, die zu schweren körperlichen Behinderungen führen können. Zu Behinderungen kommt es, weil sich die Nervenfasern meist nicht vollständig von den entzündlichen Attacken erholen können.

Zu den wichtigsten Symptomen bei NMOSD zählen:

  • Muskelschwäche in den Armen und Beinen (kann die Mobilität beeinträchtigen)
  • Muskelkrämpfe und erhöhter Muskeltonus
  • Lähmungen
  • Gefühlsstörungen, Missempfindungen
  • Nervenschmerzen (brennende oder einschiessende Schmerzen)
  • Beeinträchtigung des Sehvermögens (Sehverschlechterung bis hin zur Erblindung, Beeinträchtigung des Farbsehens), Augenschmerzen
  • Störungen der Blasen-, Darm- und Sexualfunktionen


Als typische NMOSD-Form gilt auch das so genannte Area-postrema-Syndrom, bei dem die Patienten über unstillbaren Schluckauf, Übelkeit und Erbrechen klagen. Manche Betroffene berichten über Tagesmüdigkeit und häufiges kurzes Einschlafen (Narkolepsie), Erschöpfung oder Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit.

Wer ist von NMOSD betroffen?

NMOSD zählen zu den seltenen Erkrankungen, sie betreffen weltweit weniger als fünf von 100 000 Menschen.

Von NMOSD sind überwiegend Frauen betroffen: Auf einen erkrankten Mann kommen in etwa neun betroffene Frauen. Sehr häufig erkranken Personen im Alter von ungefähr 40 Jahren, doch können auch Kinder oder ältere Erwachsene von NMOSD betroffen sein.

Wie verlaufen NMOSD?

In den meisten Fällen verlaufen NMOSD in Schüben. Im Gegensatz zur MS sind bei NMOSD keine fortschreitenden Verläufe bekannt. In der Regel erholen sich die Patienten zwischen den NMOSD-Schüben nicht vollständig, so dass es nach und nach zu Behinderungen kommt, die sich nicht mehr zurückbilden.

Daher ist es wichtig, NMOSD möglichst frühzeitig zu diagnostizieren und rasch eine Behandlung einzuleiten, die weiteren Schüben entgegenwirkt (Schubprophylaxe). Bei der Therapie von NMOSD unterscheidet man zwischen der Behandlung von akuten Schüben und der Schubprophylaxe, die weitere Schübe verhindern soll. Näheres zur NMOSD-Therapie finden Sie hier.

Warum werden NMOSD häufig mit MS verwechselt?

Da bei NMOSD ähnliche Symptome auftreten wie bei MS und da beide Erkrankungen in Schüben verlaufen, wurden (und werden) NMOSD nicht selten als MS fehldiagnostiziert. Es gibt jedoch auch Unterschiede zwischen den beiden Erkrankungen: Bei der MS kann es unabhängig von der Schubaktivität zu zunehmenden Behinderungen kommen. Bei NMOSD baut sich eine Behinderung dadurch auf, dass sich die Schübe nicht gut zurückbilden.

Heute können Ärzte jedoch besser zwischen NMOSD und MS unterscheiden. Dies ist vor allem auf die Entdeckung des Autoantikörpers gegen AQP4 zurückzuführen: AQP4 ist bei etwa 75 % der NMOSD-Patienten im Blut nachweisbar, nicht jedoch bei MS-Patienten.

Weil NMOSD lange Zeit unter MS eingeordnet wurden, haben sich Betroffene bei Fragen traditionell an MS-Patientenvereinigungen gewandt. Dies ist mit ein Grund dafür, dass es auch heute nur wenige eigenständige NMOSD-Patientengruppen gibt. Wo NMOSD-Betroffene Hilfe und Informationen finden, haben wir hier zusammengefasst.

MS-Medikamente können Schaden anrichten!

Es ist sehr wichtig, NMOSD und MS korrekt zu diagnostizieren und zu behandeln, denn manche MS-Medikamente können die Symptome der NMOSD zusätzlich verschlechtern.

Wie werden NMOSD diagnostiziert?

Die Diagnose einer NMOSD wird anhand der Beschwerden des Patienten und mithilfe von Bluttests und bildgebenden Untersuchungen (Magnetresonanztomographie) gestellt. Hierbei überprüfen die Ärzte, ob bestimmte Symptome, Veränderungen in der Magnetresonanztomographie oder spezifische Blutbefunde vorliegen. Im Jahr 2015 wurden bestimmte Diagnosekriterien definiert – die so genannten Wingerchuk-Kriterien –, die erfüllt sein müssen, um das Vorliegen einer NMOSD zu bestätigen.

Ein Grossteil der NMOSD-Patienten weist Zeichen einer Sehnerven- oder Rückenmarksentzündung auf. Werden dann zusätzlich im Blut des Patienten AQP4-Antikörper nachgewiesen, kann eine NMOSD diagnostiziert werden.

Nicht alle Patienten haben Autoantikörper gegen AQP4 im Blut. In diesem Fall muss der Arzt eine Magnetresonanztomographie (MRT) des zentralen Nervensystems veranlassen, um nach typischen NMOSD-Veränderungen zu suchen.

Manchmal sind weitere Tests erforderlich, um sicher zwischen NMOSD und MS unterscheiden zu können. Beispielsweise wird in einigen Fällen eine Liquor-Untersuchung durchgeführt. Unter Liquor versteht man die Flüssigkeit, die das Gehirn und Rückenmark umgibt. Bestimmte Veränderungen im Liquor können darauf hinweisen, dass bei den Betroffenen eine MS vorliegt.

Zusammenfassung
NMOSD sind seltene Autoimmunerkrankungen des Nervensystems. Sie verlaufen schubförmig und können ähnliche Beschwerden verursachen wie die MS. Es ist wichtig, die beiden Erkrankungen voneinander abzugrenzen, da sie unterschiedlich behandelt werden müssen. Bei der korrekten Diagnosestellung hilft unter anderem ein Bluttest: NMOSD-Patienten weisen häufig Autoantikörper gegen AQP4 auf, MS-Patienten nicht.