Das erste Jahr ging schnell vorbei, die Prophylaxe beginnt …

Die Zeit nach der Diagnose Hämophilie A hat vieles verändert und ich habe gelernt mit dieser neuen Situation umzugehen. Das erste Jahr von Mario war um vieles anders als das von Fabio. Wir hatten etwas mehr Sorgen. Seinen Kopf haben wir mit einem Stoffhelm geschützt, um die vielen kleinen Stürze eines Kleinkindes in dem Alter etwas zu dämpfen. Er tolerierte es zum Glück ohne Probleme.

Mario spielt wie alle Kinder gern im Sandkasten.

Als Mario begann herumzukrabbeln, bekam er schnell Flecken an den Knien und Beinen. Da haben wir ihm zuerst seine Nuschis an den Knien befestigt, um sie etwas zu „polstern“. Diese gingen aber schnell kaputt und verrutschten. Deswegen hat meine Mutter begonnen, im Kniebereich Polster in die Hosen einzunähen: kleine Innentaschen, die mit einem Stück Neopren gefüllt wurden. Dies erwies sich als sehr gut. Zudem hatte er auch Schoner für Inline-Skater an, bei denen wir den harten Plastikschutz entfernt und ihn durch ein Stoffpolster ersetzt haben. Diese machten jede Bewegung der Beine super mit und verrutschten nicht so schnell.

Wir versuchten so viele Gefahrenquellen wie möglich auszuschliessen. Trotzdem war ich eine richtige Helikopter-Mami, was oft von anderen Müttern – welche nichts von Marios Erkrankung wussten – etwas kritisiert wurde, zum Beispiel auf dem Spielplatz. Aber ich lernte auch damit umzugehen.

Im Sommer in der Badi hatte Mario viele blaue Flecken. Auch da hat man geschaut, aber ich wollte ihn nicht verstecken und wir liessen ihn so gut es ging selbstständig planschen und spielen.

Wie ich lernte zu Spritzen

Nach dem ersten intensiven Jahr, das glücklicherweise ohne Gelenkblutungen oder Notfälle herum ging, kam der Moment, in dem Mario mit der Prophylaxe beginnen sollte. Ein für mich schwieriges Thema, denn Spritzen waren und sind mir immer noch ein Graus. Bei mir selbst muss ich immer wegschauen. Ich dachte, meinen Sohn selbst zu spritzen, sei ein Ding der Unmöglichkeit. Es kostete mich sehr viel Mut.

Die erste Phase mit Spritzen wurde von der Ärztin und deren Assistentin übernommen, es war alles noch sehr neu und für Mario schwer. Wir mussten ihn festhalten, das brach mir das Herz. Aber sie meinten, dass er sich schnell daran gewöhnen würde. Wir starteten mit einer Spritze pro Woche. Der Gang ins Kinderspital war für mich schwer, aber es haben sich alle immer liebevoll um Mario gekümmert. Mit dem Zauberpflaster (mit einem Oberflächenanästhetikum) hatte er zum Glück auch keine Schmerzen. Das Festhalten war am anstrengendsten, da er ruhig halten musste. Die Venen waren natürlich noch sehr fein, sodass es eine grosse Kunst war, sie zu treffen. Ich hatte grossen Respekt vor dem Pflegepersonal, die Babys und Kleinkinder täglich spritzen.

Mit der Zeit wurde es für Mario tatsächlich einfacher und ein bisschen zur Gewohnheit. Nach etwa zwei Monaten habe ich meine ersten Versuche zu spritzen gemacht. Hierfür haben sich mir die Ärztin und die Assistentin zum Üben zur Verfügung gestellt. Ich habe isotonische Kochsalzlösung gespritzt und nebenbei gelernt die Medikamente aufzulösen. Mario schaute dann manchmal zu. Es kostete mich grosse Überwindung, die Nadel in die Vene einzuführen, nachdem ich mit dem Schlauch gestaut hatte. Aber es war auch etwas aufregend. Ich konzentrierte mich immer sehr, wohlwissend, dass bald die Hand oder die Ellenbeuge von meinem Sohn vor mir liegen würde. Seine feinen Venen waren viel schwieriger zu finden und zu treffen.

Das Spritzen zu Hause funktionierte auf Anhieb.

Vorbereitung auf den ersten Spritzentag zu Hause

Nach einer Weile bekam ich etwas Zuversicht, dass ich es bei Mario versuchen würde. Ich wollte es dann wirklich, denn es gab mir enorm viel Sicherheit, dass ich nun in einem Notfall helfen konnte. Ich fühlte mich oft hilflos und hatte Angst keine Erstversorgung zur Sicherheit meines Sohnes bieten zu können. Der Gedanke selber spritzen zu können, gab mir Ruhe und Erleichterung. Es ergaben sich durch diese Selbständigkeit auch viele neue Möglichkeiten, wie zum Beispiel ohne Besuche im Hämophilie-Zentrum in die Ferien zu gehen. Zudem gab es uns auch mehr Zeit, Normalität und Freiheit zurück. Die vielen Besuche im Spital würden auf Kontrolltermine reduziert werden: Was für eine Chance!

Länger war ich mit Mario im Kinderspital noch unter Beobachtung beim Spritzen. Es klappte nicht immer beim ersten Mal. Das war für mich frustrierend. Vor allem wenn schon ein Teil gespritzt war und dann die Nadel verrutschte, sodass das Präparat anfing neben die Vene zu laufen und sich eine kleine Blase bildete. Das erneute Spritzen kostete mich dann weitaus mehr Motivation und Mut. Mein Glück war aber, dass Mario da schon besser still sass. Er durfte dann immer zur Ablenkung etwas am Natel ansehen. Dadurch schaute er oft nicht, was wir gemacht haben – das gab mir Zeit.

Ich werde auch nie vergessen, als dann nach einer Weile der erste Spritzentag zu Hause kam. Ich war dankbar, dass es da auf Anhieb funktionierte, ein guter Start. Es ging meistens gut und Mario hielt gut hin. Meine Mutter half öfters und war dabei. Später lernte auch sie, Mario zu spritzen. Das war mir eine grosse Hilfe und Unterstützung. Sie war immer mein Back-up und hat Mario regelmässig gespritzt. Ich finde es wichtig, dass jemand in der Familie dies nach Möglichkeit auch kann. An manchen Tagen ist es eine Entlastung, an anderen eine Stütze, wenn es schwierig wird und nicht auf Anhieb klappt. Ausserdem hütete meine Mutter die Kinder, wenn ich arbeiten ging. So konnte ich mit gutem Gewissen weg.

Marios erste Gelenkblutung

Im Verlauf der Zeit wurde Mario dann zweimal und später dreimal die Woche gespritzt. Dies war die Folge nach Marios erster Gelenkblutung im rechten Ellenbogen, kurz nachdem er gelernt hatte zu laufen. Er war noch keine eineinhalb Jahre alt. Es war eine Spontanblutung, beziehungsweise konnten wir nicht genau nachvollziehen, ob es von einem Sturz kam. Mit seinem Schweregrad tendierte er dazu.

Sein Ellenbogen war geschwollen, heiss und schmerzte. Die Bewegung war eingeschränkt. Ich habe mich davor oft gefragt, ob ich eine Gelenkblutung verpassen könnte und auf was ich achten müsse, aber man kann das nicht „verpassen“. Mario hatte grosse Schmerzen und weinte. Es schmerzte ihn so sehr, dass wir schnell in der Notaufnahme waren. Da wurde dann auch sofort gespritzt, danach das Gelenk geschient und somit ruhiggestellt. Mit der Kombination aus Schiene, Faktor-Präparat und Schmerzmittel ging es Mario zunehmend besser. Aber die Nächte waren oft sehr lang und schmerzerfüllt, da er sich schlechter drehen konnte und wiederkehrende Schmerzen hatte. Er schlief dann oft bei mir im Bett. Tagsüber liess sich Mario jedoch zum Glück nie vom Spielen oder Rumalbern abhalten. Sein Gemüt war stets froh und sonnig, was mir immer viel Kraft und Mut gegeben hat, obwohl es für mich oft traurig und belastend war.

In schwierigen Momenten war ich immer froh um den Austausch mit meinen Freundinnen, welche auch Kinder mit Hämophilie hatten. Man darf nicht vergessen oder unterschätzen, was es für eine grosse Aufgabe ist, ein Kind mit besonderen Bedürfnissen grosszuziehen, zu betreuen und zu therapieren. Das betrifft nicht nur die hämophilen Kinder … Man hat gute und schlechte Momente, Erfolge und Misserfolge. Manchmal ist man sehr stark und in anderen Momenten fühlt man sich hilflos und ist traurig über die ganze Situation. Wichtig ist aber zu wissen, dass man nicht alleine ist, dass es Menschen gibt, die helfen und verstehen, die einem zur Seite stehen. Sei es die Familie, Freunde oder die Ärzte und Pflegenden im Spital … Fragt nach Hilfe und Rat und passt gut auf Euch auf! Es ist eine grosse und ausserordentliche Leistung, die Ihr vollbringt. Und darauf darf man auch etwas stolz sein.

In diesem Sinne wünsche ich Euch allen ganz viel Gesundheit, Kraft, Mut und Erfolg!

Ganz liebe Grüsse

Eure Sabine