Reisen mit MS: Wunsch oder Wagnis?

«Wenn einer eine Reise tut, dann kann er viel erzählen!» Viel zu erzählen hat Lucile Zünd ganz sicher, denn die 29-jährige Bürokauffrau erfüllt sich einen grossen Traum: Ein ganzes Jahr für sich und dabei die Welt sehen – Freiheit und Abenteuer pur. Die humorvolle junge Frau startet Anfang Dezember 2017 zusammen mit ihrem Freund in Südafrika, danach stehen Südostasien und Südamerika auf dem Plan. Das Besondere: Lucile Zünd ist voller Zuversicht, dass ihr die Diagnose MS, die sie im Alter von 19 Jahren erhielt, keinen Streich spielen wird. Im Gespräch mit Anne Rüffer erzählt sie von ihren Vorbereitungen.

Wie kamen Sie auf die Idee, auf Weltreise zu gehen? Welchen Stellenwert haben Reisen für Sie?

Der wirkliche «Reisehunger» ist eigentlich erst aufgetreten, als ich die Diagnose bekam. Zu Beginn war meine MS sehr aktiv und ich musste eine anstrengende Behandlung durchmachen. Damals trat der Gedanke auf: Was ist, wenn ich irgendwann einmal reisen möchte und es dann wegen der MS nicht kann? Deshalb habe ich mich für eine Weltreise entschieden und zwar jetzt, denn das muss ich machen, solange ich noch jung und fit bin

Wie sieht Ihre Route aus? Ist alles komplett durchgeplant und welche Erwartungen haben Sie?

Am 4. Dezember 2017 fliegen mein Freund und ich nach Südafrika, nach Johannesburg. Von dort aus fahren wir mit einem Mietauto die Garden Route entlang bis nach Kapstadt. Wir bleiben einen Monat in Südafrika. Am ersten Januar 2018 geht es dann weiter nach Sri Lanka, ebenfalls für einen Monat. Die nächste Station ist Südostasien, dort bleiben wir drei Monate; von dort fliegen wir für zwei Wochen nach Japan, danach verbringen wir einen Monat in Neuseeland. Und schliesslich zieht es uns noch nach Südamerika, wo wir drei Monate verschiedene Regionen bereisen wollen.

Wir wissen also, wie lange wir ungefähr in den Ländern bleiben wollen. Vor Ort suchen wir uns Hostels und schauen, wo es uns gefällt und wo wir bleiben wollen. Sollten wir schneller weiter wollen, ist das kein Problem – wir sind absolut frei.

Dieses Jahr gehört einfach nur mir und meinem Freund. Wir sind neugierig darauf, wohin es uns verschlägt. Das Gefühl von Freiheit und ohne jeglichen Alltagsdruck neue Eindrücke sammeln zu können – das ist unbeschreiblich.

MS-Patientin Lucile wagt es und berichtet von ihren Reisevorbereitungen

Wie wirkt sich die MS-Diagnose auf Ihre Planung aus? Worauf müssen Sie besonders achten?

Das Organisieren meiner Behandlung ist der einzige Punkt, der etwas schwierig ist, denn ich muss ja ein ganzes Jahr im Voraus planen. Das ist es, was mir ein bisschen Bauchweh bereitet: Wie sieht es beispielsweise an den Flughäfen aus, wenn ich mit verschiedenen Medikamenten im Gepäck reise. Meine Neurologin hat mir hierfür extra eine Bescheinigung ausgestellt, und bestätigt, dass ich MS habe und deswegen auf eine Behandlung angewiesen bin. Sie hat mir alle Dokumente auch auf Englisch ausgestellt – und ich habe sie noch auf Spanisch übersetzen lassen. Damit ich sicher keine Probleme habe. Aber ansonsten mache ich mir keine grossen Gedanken um die MS, denn ich will meine Reise in vollen Zügen geniessen.

Wären Sie auch alleine auf die Tour gegangen? Oder hatte die MS einen Einfluss auf die Entscheidung?

Nein, alleine wäre ich nicht gegangen. Mein Freund und ich haben diese Reise von Anfang an gemeinsam geplant. Aber nicht wegen der MS, sondern weil mein Freund einfach sehr organisiert ist und er alles besser regeln kann, wie beispielsweise die Tickets für den öffentlichen Verkehr, da wir häufig mit lokalen Bussen unterwegs sein werden. In fremden Ländern und mit fremden Sprachen fühle ich mich zu zweit auch einfach sicherer. Aber die MS hat darauf keinen Einfluss.

Diese Reise, ist die auch ein Wagnis oder ist das vor allem die Erfüllung eines Traums? Was macht Sie stark und gibt Ihnen den Mut, sich auf dieses Abenteuer einzulassen?

Es ist sicher die Erfüllung eines Traums. Und sie ist für mich die Bestätigung, dass ich nicht eingeschränkt bin. Ich das kann. Obwohl andere gesagt haben: „Meinst du, das ist das Richtige? Ist doch gefährlich.“ – ich freue mich, dass ich nach diesem Jahr sagen kann, ich habe eine Weltreise gemacht, trotz MS. Und mein Humor bleibt ja nur durch die Erkrankung auch nicht auf der Strecke. Er macht mich stark und ich kann schwierige Situationen auch mal mit einem Augenzwinkern betrachten, ohne in Kopfzerbrechen zu verfallen.