Mein MS-Jahrestag

Am 13. März 2019 war mein sechster Jahrestag nach der MS-Diagnose. Und ich habe ihn vergessen. Ich freue mich sehr über diese Tatsache. Sie bedeutet, dass MS nicht (mehr) mein Leben bestimmt.

Ein fast normales Leben mit MS

Brief an mein neudiagnostiziertes ICH:

Liebes ICH,

du hast die Diagnose Multiple Sklerose bekommen. Eine chronische Erkrankung, welche bis jetzt als unheilbar gilt. Du hattest keinen Plan, was das bedeutet. Achterbahn der Gefühle aus Angst, Unsicherheit und ein ordentlich schlechtes Gewissen. Du hast dich für alles schuldig gefühlt: weil deine Kinder eine kranke Mutter haben, du eine Belastung für deinen Mann wirst, weil das Wetter schlecht ist. Du hast das Internet nach Informationen abgegrast. Alles was mit MS zu tun hatte, hast du wie ein Schwamm aufgesogen. Und in der Zwischenzeit ging das Leben einfach weiter, ohne auf dich zu warten. Ziemlich bald hast du festgestellt, dass dein Leben eigentlich ziemlich ok ist und dass der drohende Rollstuhl ausblieb. Du hast auch festgestellt, dass du zwar verschiedene Symptome und Einschränkungen hast, aber ganz grundsätzlich ein gutes Leben führst. Deine Kinder hatten immer weniger Angst, dass du sterben könntest. Also entschiedst du dich, über das alles zu bloggen. Vielleicht kommt jemand zufällig auf diese Seite, und – wer weiss – vielleicht hilfst du jemanden mit deiner Geschichte.

Sechs Jahre später

Das Leben ist, ganz einfach, toll! Du siehst so vieles mit ganz anderen Augen! Der Rollstuhl ist noch immer nicht in deinen Alltag eingezogen. Du hattest dazwischen zwar Schübe, bist aber seit über drei Jahren schubfrei und du feierst das! Du geniesst dein Leben mit allen Zügen. Die Kinder sind schon ziemlich selbständig. Du bist wieder ins Arbeitsleben eingestiegen. Sogar in einer ganz anderen Branche mit ganz vielen neuen Herausforderungen. Und du rockst das, auch wenn deine Konzentration und dein Gedächtnis nicht mehr so sind wie vor einigen Jahren. Dein Blog wurde zum Selbstläufer und hat deine kühnsten Erwartungen weit übertroffen.

Durch das Bloggen hast du unglaublich viele tolle Menschen kennengelernt. Es sind Freundschaften entstanden. Deshalb verbringst du manchmal zu viel Zeit auf Social Media. Leider reicht deine Energie nicht für all die Pläne, die du hast und du musst akzeptieren, dass deine Erschöpfung dich manchmal für Tage in die Knie zwingt.

Wenn du zurückdenkst, dann wird dir klar, dass die letzten sechs Jahre sehr harte Arbeit waren. All das Erwähnte wurde dir nicht selbstverständlich hingeworfen, du hast dafür gekämpft. Du hast alles dafür gegeben, dich nicht in dieser Erkrankung zu suhlen. Es war dir immer wichtig, die Kontrolle über dein Leben in der Hand zu halten.

Dein Neurologe und du seid zu ebenbürtigen Partnern geworden. Ihr tauscht euch aus, auf einer respektvollen und offenen Patienten-Arzt-Basis.

MEIN TIPP

Du brauchst keine Angst zu haben, es wird durchaus harte Zeiten geben, du wirst aber immer wieder aufstehen und weitermachen. Und es lohnt sich niemals aufzugeben.

Kürzlich hast du schlechte Nachrichten bezüglich deiner Blutwerte bekommen. Das ist immer eine schwierige Situation. Du wirst dir jetzt wieder Gedanken machen müssen, wie du in Zukunft vorgehen möchtest. Kurzzeitig werfen dich solche Nachrichten auch nach sechs Jahren aus der Bahn, aber du weisst, dass du einen Weg finden wirst, diese Herausforderung zu meistern. Du lernst immer mehr auf dich und deinen Körper zu vertrauen. Es ist nicht immer einfach und du stehst manchmal vor ganz grossen Herausforderungen.

Ich möchte ganz kühn und grössenwahnsinnig behaupten, dass du glücklicher bist als manch andere ohne MS. Du weisst, dass du mit deiner MS weniger Krankheitsfehltage hast als manch gesunde ArbeitskollegInnen. Das macht dich irgendwie stolz. Nicht, weil du es cool findest, als Arbeitstier rüberzukommen, sondern weil du nicht diesem veralteten Klischee gehörst, dass man mit MS nicht arbeiten kann.

Bald wirst du deinen 40. Geburtstag feiern. Du googelst mittlerweile öfter nach Anti-Aging statt nach Multiple Sklerose. Und das ist auch gut so. Nun, du googelst zurzeit auch sehr viel nach neuen Medikamenten und nach Immunglobuline-Werten und fühlst dich irgendwie in den Seilen hängend.

You rock <3