Krankheitsaktivität bei MS – Welche Rolle spielt sie bei der Therapie?

Der Begriff »Aktivität« bezeichnet in der Regel etwas Positives, ist er jedoch gekoppelt mit dem Begriff »Krankheit«, sieht die Sache anders aus. Was es damit auf sich hat und warum es enorm wichtig ist, bei einer MS-Erkrankung frühzeitig zu therapieren, erläutert die Neurologin Dr. Andrea Tasalan-Skupin im Gespräch mit Anne Rüffer.

1. Was verbirgt sich hinter dem Begriff „Krankheitsaktivität“? Was bedeutet in diesem Zusammenhang „klinisch“ und „subklinisch“? Lässt sich der Begriff bildlich erklären?

Am einfachsten kann man Krankheitsaktivität erklären, wenn man sich auf die bildgebende Ebene begibt. Und dort ist eine MRI, eine Magnetresonanztomografie, die Standarduntersuchung. Die Krankheitsaktivität kann dann über die für MS-typischen Entzündungsherde beobachtet und gemessen werden. Das sieht man in der Bildgebung in Form eines Aufleuchtens. Klinisch ist das Ganze dann, wenn passend zu diesen radiologischen aktiven Prozessen der Patient selbst äussert, dass er Veränderungen, wie neue Symptome, bemerkt. Subklinisch bedeutet, dass der Radiologe etwas findet, der Patient jedoch mit den Achseln zuckt und sagt, dass er nichts davon spürt  – also keine neuen oder alten Symptome. Das heisst: Auch wenn der Patient keine Verschlechterung oder Veränderung seiner MS bemerkt, kann die Krankheit aktiv sein.

2. Wie lassen sich erste Anzeichen von Multipler Sklerose erkennen?

In der Regel radiologisch, wenn ein Verdacht besteht, zum Beispiel wegen einer aufgetretenen Sehstörung, unklarem Schwindel oder Spastiken – dann lohnt es sich eine MRI zu machen. Da hiermit aktive und inaktive Entzündungsherde ermittelt werden können. Handelt es sich beispielsweise ausschliesslich um eine isolierte Störung im Bereich des Auges, dann richtet man den Fokus bei einer MRI auf den Sehnerv.

3. Warum ist es wichtig, frühzeitig zu therapieren und Schübe zu verhindern?

Man weiss heute aus Studien: Der frühe Vogel fängt den Wurm. Je früher man mit der Therapie anfängt, umso positiver kann man den Krankheitsverlauf (langfristig gesehen) beeinflussen, und zwar indem die Anzahl der Schübe bei den schubförmigen Verläufen verringert wird. Aber auch der Erhalt der Myelinscheiden, der Ummantellung der Nervenzellen, ist äusserst wichtig. Dabei geht es darum, die Vernetzung der Nervenzellen und damit die geistigen und koordinativen Fähigkeiten zu erhalten. Wenn man dort nicht therapeutisch eingreift, nehmen diese Fähigkeiten oft ab. Das kann im Alter zu einer Demenz führen. Seit man das weiss, ist man bemüht, diesen Krankheitsprozess so schnell wie möglich zu stoppen.

4. Welche Rolle spielt eine MRI beim Überwachen der Krankheitsaktivität?

Über die Bildgebung mit einer MRI kann man einerseits herausfinden, ob es subklinische Krankheitsaktivität gibt. Also: Verändert sich etwas an der Grösse und an der Aktivität vorhandener Entzündungsherde oder treten neue auf, die klinisch noch nicht auffällig sind? Zudem kann es genutzt werden, um die Wirksamkeit der Medikamente zu überprüfen. Heutzutage ist man verpflichtet, halbjährlich bis jährlich – je nach individueller Krankheitsaktivität und dem bisherigen Ansprechen auf Therapiemassnahmen – zu kontrollieren, ob die Medikamente optimal wirken und somit keine negativen Veränderungen an den Entzündungsherden seit der letzten MRI aufgetreten sind.

5. Allgemein gilt, dass regelmässige Kontrollen, Therapieanpassung und Adhärenz die Krankheitsaktivität zum Stillstand bringen können. Warum?

Die Therapieanpassung steht ganz klar im Vordergrund. Hat man ein Medikament, das am besten im Rahmen der Schubunterdrückung geeignet ist, dann wird die Krankheitsaktivität gemindert beziehungsweise zum Stillstand gebracht. Wir sind zwar immer noch weit entfernt von einer Heilung, aber die Therapie friert quasi die Krankheit auf dem bestehenden Niveau ein. Klinisch zeigt sich in der Regel bei leichten Defiziten sogar eine tendenzielle Besserung. Die regelmässige Kontrolle führt dazu, dass man ein mögliches Voranschreiten bestmöglich zu verhindern versucht. Die Therapieanpassung in diesem Zusammenhang optimiert dieses System. Das heisst: Wenn ich plötzlich eine Zunahme von Entzündungsherden – im Gehirn oder Rückenmark im Bereich der Hals- oder Brustwirbelsäule – finde, ohne dass der Patient etwas über Schubaktivität berichten kann, kann ich rasch eingreifen und die Therapie optimieren.

Zudem ist es natürlich enorm wichtig, dass die Patienten ihre Therapie gewissenhaft befolgen. Adhärenz, also Therapietreue, ist ein entscheidender Faktor für den langfristigen Erhalt der körperlichen und geistigen Fähigkeiten und somit der Selbstständigkeit des Patienten.