Bewusst leben mit MS: Glücksmomente wahrnehmen

Wie schnell gewöhnt man sich an ein MS-Symptom? An manche schneller und an andere kann man sich vermutlich nie gewöhnen. Gut wäre es, wenn man lernen könnte, sie soweit wie möglich zu akzeptieren und mit ihnen zu leben.

Als ich das letzte Mal wieder tagelang meine Schwindelanfälle hatte, wurde mir bewusst, wie wenig ich eigentlich diese symptomfreien Momente schätze. Der Alltag schleicht sich nur zu gerne rasch ein und man erachtet es für selbstverständlich, wieder einen sicheren Gang zu haben. Plötzlich wird mir klar, wie schön es ist, ohne die ganzen Wehwehchen zu leben. Und wie wenig das mit einer Selbstverständlichkeit zu tun hat.

Letzthin war es wieder soweit: Mein Schwindel war stärker als sonst. Tagelang musste ich mich auf mein Gleichgewicht konzentrieren, jeden weiteren Schritt bewusst setzen. Sobald ich einen Fuss entlastete, zog ihn die Spastik nach innen. Sowas ist natürlich sehr anstrengend, körperlich wie auch psychisch. Schliesslich wissen wir mit MS nie, ob das ein bleibender Zustand wird oder ob es wieder besser wird. Wie wunderschön ist es, wenn sich ein solches Symptom wieder normalisiert und verschwindet! Auch wenn es nur etwas schwächer wird, fühlt sich das sehr gut an. Ich versuche, das dann auch, bewusst wahrzunehmen, und freue mich darüber.

Ich mache mir die guten Zeiten bewusst

Seit einigen Monaten benutze ich eine Agenda als Tagebuch. Vor zwei Jahren hatte ich ein Jahr lang auf meinem Blog das „Glücksprojekt“ geführt. Dazu gehört, mir Ziele für den jeweiligen Monat vorzunehmen und, ganz wichtig, Dinge zu machen, die mich glücklich machen. Ich schreibe mir alles auf, was ich gerne machen möchte: zum Beispiel einen Kaffee mit meiner Freundin trinken gehen, eine Unternehmung mit meinen Kindern oder ein Entspannungsbad. Eben alles, was im Alltag gerne und schnell untergeht.

Mit meinem Tagebuch versuche ich regelmässig, meinen Tag Revue passieren zu lassen. Ich schreibe ganz kurze Notizen, wie war mein Tag, was gut war und was vielleicht nicht so gut. Hierbei versuche ich mich, auf die guten Dinge zu fokussieren. In Phasen, in denen es meine MS nicht so gut mit mir meint, versuche ich tatsächlich, nur die positiven Sachen aufzuschreiben. Dass es mir in solchen Phasen weniger gut geht, das weiss ich ja. Deshalb möchte ich mir die guten Dinge bewusst machen. Für mich ist das sehr wichtig und es zeigt mir auch nach einem schlechten Tag, dass vielleicht nicht alles schlecht war.

MEIN TIPP

Die guten Tage bewusst wahrnehmen und geniessen! Wie schön es sein kann, wenn: das Auge nicht mehr zuckt, der Tremor verschwunden ist, die Spastik weg ist, sich nicht alles dreht … Ich schätze diese Momente sehr!

Kleinigkeiten sehen

Die chronische Erschöpfung ist auch so eine Sache. Bei mir kommt sie meistens plötzlich von einem Moment auf den nächsten und ich fühle mich wie überfahren. An diesen Tagen, an denen die Erschöpfung sehr stark ist und ich keine Kraft habe, mich aufzuraffen, akzeptiere ich diesen Zustand. Vielleicht ist das einfach ein Zeichen von meinem Körper, weil ich mir in letzter Zeit zu viel zugemutet habe? Umso mehr freue ich mich, wenn mich die Fatigue an einem Nachmittag verschont. Wenn ich einen ganzen Tag genug Kraft hatte! Solche Momente übersieht man viel zu schnell.

Diese kleinen Momente der Zufriedenheit und Ruhe notiere ich.

Es macht mich tatsächlich sehr glücklich zu sehen, wie viele schöne Punkte an einem Tag zusammenkommen. Zu Beginn ist es vielleicht nicht so einfach nur, die guten Dinge zu sehen und zu erkennen. Mit der Zeit bekommt man aber Übung darin. Es gibt praktisch keinen einzigen Tag, an dem ich nicht mindestens einen Punkt aufschreiben konnte. Sei es auch nur, die Sonnenstrahlen gesehen zu haben.

Trotz Fatigue das Leben geniessen

Wenn ich nach einem Arbeitstag mit Familie, Haushalt und allem, was dazu gehört, von meiner Freundin gefragt werde, spontan was zu unternehmen und die letzten Kraftreserven zusammenkratze, um einen wunderbaren Abend zu verbringen, dann geniesse ich diesen. Ich weiss, dass ich dadurch am nächsten Tag und vermutlich auch am übernächsten weniger Kraft haben werde. Hier könnte ich sagen, dass ich dafür büssen werde. Ich sehe das aber anders!

Ich entscheide mich bewusst und mit voller Freude für diesen Abend und geniesse jede Minute! Wenn ich am Tag danach deshalb tatsächlich weniger fit bin, dann sei es darum. Einen schönen Abend hatte ich trotzdem – und das ist Balsam für meine Seele!

Es gibt natürlich auch Zeiten, in denen ich keine spontanen Verabredungen wahrnehmen kann. Die Kraftreserven sind einfach nicht da und der nächste Tag möchte auch überstanden werden. Zum Glück versteht das mein Umfeld meistens, auch wenn sie sich das sicherlich nicht vorstellen können. Es ist für Nicht-Betroffene vermutlich nicht leicht zu verstehen, warum man ständig und immer müde ist, obwohl man acht Stunden geschlafen hat.