Alltag mit MS meistern: So unterstützt eine MS-Nurse

Wie kommt man in einer Welt, in der es darum geht, immer schneller, höher und weiter zu agieren und zu reagieren damit zurecht, wenn man plötzlich die Diagnose MS erhält? Denn diese Diagnose bedeutet, mit einer chronischen Erkrankung zu leben. MS-Nurse Greta Pettersen kennt die Sorgen der MS-Patienten und hilft ihnen, ihren Alltag gut zu organisieren. Die Dänin lebt seit 18 Jahren in der Schweiz und ist vertraut mit den Gepflogenheiten, deshalb fällt es ihr auch nicht schwer, den arbeitsamen Schweizern den Wert von regelmässigen Pausen zu vermitteln.

Welche typischen Probleme haben MS-Betroffene häufig im Alltag?

Das ist einerseits das sogenannte Fatigue-Syndrom – dieses äussert sich durch eine ständige Müdigkeit und ein häufiges Erschöpfungsgefühl. Die Patienten sind besorgt, wie sich diese häufige Müdigkeit auf ihre Arbeit auswirkt. Die Frage lautet dann: Soll man es dem Arbeitgeber sagen oder nicht? Mit wem soll man reden, auch innerhalb der Familie?

Das zweite Problem sind die Nebenwirkungen der verschiedenen Medikamente, wobei nicht alle Patienten über Nebenwirkungen klagen. Für viele stellt zudem die Angst vor einem nächsten Schub das grösste Problem dar. Deshalb ist es auch gut, dass wir ständig erreichbar sind. Gerade im Sommer kann es vorkommen, dass mich jemand zum Beispiel aus seinen Ferien in Thailand anruft, weil er oder sie sich unwohl fühlt und Unterstützung benötigt.

Welche alltagsbezogenen Tipps geben Sie, um mit diesen Herausforderungen besser zurechtzukommen?

Man kann ein Schema erstellen, um sich jeden Tag in etwa gleich einzuteilen. Es ist wichtig, dass man einen ausgeglichenen Rhythmus lebt: dass man jeden Tag gleich viel schläft, dass man die Aktivitäten regelmässig verteilt. Liegt beispielsweise das Fatigue-Syndrom vor, muss man sich nicht jedes Mal hinlegen und schlafen, das ist nicht wie bei uns am Abend, wenn wir müde sind. Stattdessen sind regelmässige Pausen gefragt. Deswegen: Pausen auch bei der Arbeit einlegen, sich beispielsweise zehn Minuten ausruhen. Regelmässige physische Aktivitäten sind wichtig, Sport tut ebenfalls gut.

MediService-Nurse Greta Pettersen

Können Sie auch konkret Hilfe leisten, also würden Sie beispielsweise auch mit jemandem zum Arbeitgeber gehen?

Bisher hat sich dies nicht ergeben. Wir sprechen aber über diese Themen bei unseren Besuchen oder wir reden darüber am Telefon mit den Patienten. Zusätzlich kann ich aber auch immer den Austausch mit anderen Betroffenen empfehlen. Viele haben ähnliche Erfahrungen bereits gemacht und zum Beispiel schon das Gespräch mit dem Arbeitgeber geführt. Bei Selbsthilfetreffen kann man sich bestens austauschen und von den Erfahrungen der anderen profitieren. Man muss ja nicht alles identisch machen, aber sich das herausziehen, was für einen persönlich wichtig und nützlich ist.

Werden Sie von MS-Patienten gefragt, wem sie in ihrem Umfeld von ihrer Erkrankung erzählen sollen? Was antworten Sie? Und welche Empfehlungen geben Sie?

In den zehn Jahren, in denen ich diese Aufgabe wahrnehme, habe ich alles erlebt. Manchen wurde gekündigt, weil sie ihre Diagnose offen mitgeteilt haben; andere hatten sehr verständnisvolle Chefs, die erlaubten, dass der oder die Betroffene nach Hause gehen konnte, wenn sie müde war. Jede Person muss den eigenen Weg finden, und ich unterstütze jede Entscheidung. Allerdings gebe ich die Empfehlung: Denken Sie intensiv darüber nach, bevor Sie irgendetwas entscheiden. Denn: Es kann Konsequenzen – gute wie schlechte – nach sich ziehen, wenn man darüber spricht.

Ich begleitete einmal einen Mann, der nicht wollte, dass sein Kind davon erfährt. Selbstverständlich habe ich das respektiert und deutlich signalisiert, dass ich seine Entscheidung verstehe. Nach einer Weile wollte er es doch sagen. Daraufhin habe ich angeboten, ich könnte dabei sein oder er dürfe meine Nummer weitergeben, wenn jemand Fragen hat.

Wie kann das Umfeld den Patienten am besten im Alltag unterstützen?

Wenn das Umfeld da ist, auch wenn wir zu Besuch kommen, ist das sehr gut. Denn die Familienmitglieder oder Freunde zeigen dadurch, dass man auf sie zählen kann. Zugleich sind sie zu zweit oder gar zu dritt und hören, was wir sagen. Eine meiner Empfehlung lautet auch, dass jemand aus dem engen Kreis mit zu den Arztbesuchen geht, damit der Patient nicht alleine ist. Für die meisten Partner ist das selbstverständlich. Ich erlebe auch nur selten Trennungen nach einer solchen Diagnose – anders als man vielleicht denken würde. Viele Paare bekommen sogar ein Kind, und dann noch ein Kind … und das trotz MS.

Von grosser Bedeutung, und dies sollte allen bewusst sein, ist vor allem die Stressvermeidung – je weniger Stress, desto besser. Das ist zwar für uns alle so, aber speziell für die MS-Patienten ist es wichtig, dass sie so wenig Stress haben wie möglich, da Stress Schübe provozieren kann. Aber wie macht man das immer in der heutigen Zeit? (lacht) Da gibt es leider kein Patentrezept.