Wie Auslandsreisen für Hämophilie-Patienten möglich wurden

In meinen ersten acht Lebensjahren konnten meine Blutungen in die Gelenke noch nicht durch das Spritzen des fehlenden Gerinnungsfaktors behandelt werden. Denn bis Anfang der 70er-Jahre waren die Behandlungsmöglichkeiten für Hämophilie-A-Patienten beschränkt, was immer wieder für mich und auch für meine Eltern einige unangenehme Konsequenzen nach sich zog.

Die Absenzen in der Primarschule waren häufig, da sich die Spitalaufenthalte mehrten. Die operativen Kniepunktionen oder sogar das Einspritzen von entzündungshemmenden Medikamenten brachten nur kurzfristig Erleichterung. Zudem waren diese Behandlungen stets mit grossen Schmerzen verbunden. Außerdem wurde das entsprechende Gelenk immer ruhig gestellt, sei es mit einem Gips oder einer Gehgipsschiene. Dies führte zu einem Muskelabbau, der die Verletzungsgefahr erneut erhöhte.

Der lange Weg zur prophylaktischen Behandlung

Im Hämophilie-Lager im Jahr 1971 kamen dann für mich zum ersten Mal ein Durchbruch und Fortschritt in der für uns so wichtigen Therapie: Der Faktor VIII, aus humanem Blutplasma gewonnen, konnte mittels Infusion in 150-ml-Flaschen verabreicht werden. Ein in der Aufbereitung und Verabreichung noch mühseliges Verfahren, da das Auflösen des Präparates bis zu einer halben Stunde in Anspruch nahm. Die Infusion, die mit relativ dicken Nadeln intravenös verabreicht wurde, dauerte zusätzlich bis zu 60 Minuten. Die Blutungen wurden aber gestoppt. Diese Behandlung machte jedoch immer noch einen Besuch im entsprechenden Kinderspital notwendig.

Die Verbesserung der Therapie bestand ab 1974 in einer kleineren Flüssigkeitsmenge, die zu Hause mittels Spritze in kürzerer Zeit und mit einer kleineren Nadel, der Butterfly-Nadel, verabreicht werden konnte. Diese Heimselbstbehandlung wurde anfangs von den Ärzten kontrovers diskutiert, setzte sich dann aber durch. Zuerst lernte meine Mutter, mir das Medikament zu geben. Ab 11 Jahren konnte ich mich selbst behandeln; somit stand auch Reisen ins Ausland nichts mehr im Wege, da man die erforderlichen Präparate mittels Kühlbox auch im Flugzeug mitnehmen konnte.

Im Gegensatz zu heute, wo ich mich prophylaktisch substituiere, wurde anfangs der Gerinnungsfaktor erst beim Bemerken einer Blutung verabreicht. Je länger man also mit der Medikamentenverabreichung wartete, desto länger dauerte selbst nach der Behandlung die Restblutung. Der Prozess, der die irreparablen Gelenkschäden verursachte, konnte aber gestoppt, respektive hinausgezögert werden. Vor allem konnten meine Schulabsenzen auf ein Minimum beschränkt werden.

Neue Perspektiven eröffnen sich

Es war eine neue Welt, die ich dank dieses Fortschritts zu dieser Zeit wahrnehmen konnte: Ich konnte Wanderungen in den Bergen und vor allem das Meer für mich entdecken. Mit 12 Jahren hatte ich dann zum ersten Mal die Gewissheit, dass selbst bei diversen Rückschlägen, die kommen mögen, ein einigermassen normales Leben mit der Krankheit möglich ist.

Seit Beginn dieser Prophylaxe hatte ich keine Spontanblutungen mehr und bin auch bei leichteren Verletzungen, die aus Unachtsamkeit entstehen können, sehr gut geschützt. Ebenfalls ermöglicht es mir, sportliche Tätigkeiten, wie Schwimmen, kurze Wanderungen sowie leichtes Krafttraining zu absolvieren. Meine Muskulatur und Fitness hat sich dadurch verbessert. Im Allgemeinen hat sich meine Lebensqualität markant erhöht, was ich bei meinen diversen Reisetätigkeiten ins Ausland spürbar merke.

Mit Gruss

Euer Christian