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Leben

Den Alltag mit SMA bewältigen

Die spinale Muskelatrophie führt bei Betroffenen zu deutlichen körperlichen Einschränkungen und damit zu Herausforderungen für den Betroffenen und seine Familie. Doch es gibt eine ganze Reihe von Hilfen, die den Alltag erleichtern.

Diagnose spinale Muskelatrophie – was kommt da auf uns zu?

SMA ist nicht gleich SMA. Wie stark die Einschränkungen und Beschwerden aufgrund der Erkrankung tatsächlich sind ist sehr individuell. Bei manchen Betroffenen ist etwa das Gangbild (die Bewegungsabläufe beim Gehen) betroffen, andere sind fast komplett bewegungsunfähig und müssen dauerhaft beatmet werden. Neben zahlreichen anderen Einschränkungen sind für viele SMA-Betroffene ausserdem Fatigue (krankheitsbedingte Erschöpfung) und schnellere Ermüdbarkeit herausfordernd.

Bei SMA werden motorische Nervenzellen im Rückenmark (Motoneuronen), die normalerweise Bewegungsimpulse vom Gehirn zu den Muskeln weiterleiten, krank und sterben schliesslich. Fallen diese wichtigen Nervenzellen aus, erhalten die Muskeln keine Signale mehr – sie bilden sich zurück, beginnen zu schrumpfen (atrophieren), und es kommt zu Muskelschwäche.

Grundsätzlich verlieren SMA-Betroffene im natürlichen Krankheitsverlauf (ohne Therapie) zunehmend motorische Fähigkeiten – unabhängig vom vorliegenden SMA-Typ.

Ein möglichst selbstständiges Leben & der Einsatz von Hilfsmitteln

Da die Probleme bei SMA sehr vielfältig sein können, sollten Betroffene durch ein Behandlungsteam betreut werden, dem verschiedene Berufsgruppen angehören: Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Ernährungsberater, Logopäden, Sozialarbeiter u.a. Zusätzliche Unterstützung und Beratung kann durch Patientenorganisationen, Rechtsdienste oder Sozialberater erfolgen.

Es gibt viele Hilfsmittel, die den Alltag mit SMA erleichtern, beispielsweise Hilfsmittel für gutes Sitzen, Körperpositionierung, Mobilität und Selbstständigkeit (elektrische Rollstühle, Computer-Anpassungen, Steuerung von Geräten per Sprachbefehl u.a.). Die behandelnden Ärzte, Physiotherapeuten, Orthopädie- und Rehabilitationstechniker sind hierzu die richtigen Ansprechpartner und Berater.

Fragen zu geeigneten Hilfsmitteln beantworten auch die Patientenorganisation «SMA Schweiz» (www.sma-schweiz.ch) oder die unabhängige Organisation «Schweizerische Arbeitsgemeinschaft Hilfsmittelberatung für Behinderte und Betagte (SAHB)» (www.sahb.ch).

Mit dem Assistenzbeitrag können Menschen mit einer Behinderung Personen anstellen, die sie zu Hause unterstützen. Um einen Assistenzbeitrag zu erhalten, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein.

Wer bei alltäglichen Lebensverrichtungen wie Ankleiden, Aufstehen, Absitzen, Essen, Körperpflege etc. die dauernde Hilfe anderer Menschen benötigt bzw. der persönlichen Überwachung bedarf, ist im Sinne der Invalidenversicherung (IV) «hilflos» und kann eine Hilflosenentschädigung erhalten. Als «hilflos» gelten auch volljährige Versicherte, die dauernd auf Begleitung ihrer alltäglichen Lebensverrichtungen angewiesen sind und zu Hause leben. Es wird berücksichtigt, ob besonders aufwendige Pflege oder Überwachung benötigt wird. Je nach Ausmass der Hilflosigkeit werden drei Schweregrade – leicht, mittel und schwer – unterschieden. Die Höhe der Leistung hängt vom Grad der Hilflosigkeit und davon ab, ob die versicherte Person in einem Heim oder zu Hause wohnt. Der Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung entsteht frühestens nach Ablauf einer einjährigen Wartezeit.

Wenn Minderjährige während mindestens vier Stunden täglich Pflege benötigen, kann die IV zusätzlich einen Intensivpflegezuschlag ausrichten. Auch bei diesem Zuschlag gibt es die Stufen leicht, mittel und schwer.

Informationen zum Assistenzbeitrag, zur Hilflosenentschädigung und zum Intensivpflegezuschlag finden Sie unter www.ahv-iv.ch.

Wo gibt es Unterstützung und Beratung?

Welche Hilfsmittel und Betreuungsmöglichkeiten stehen mir zu, wie bewahre ich meine Mobilität, welche Rechte und Pflichten im Bereich der Sozialversicherungen habe ich? Wie kann mein SMA-betroffenes Kind in der Schule und auf dem Schulweg unterstützt werden? Es ist nicht einfach, sich einen Überblick über die vielfältigen Unterstützungsmöglichkeiten, die teilweise kantonal geregelt sind, zu verschaffen.

Bei diagnosespezifischen Fragen zu Themen wie Pflege, Hilfsmittel, Schule, Berufslehre, Studium und Beruf gibt auch die Patientenorganisation «SMA Schweiz» Auskunft (www.sma-schweiz.ch).

Informationen zu Muskelerkrankungen generell finden Sie auf der Webseite der «Schweizerischen Muskelgesellschaft» (www.muskelgesellschaft.ch), die auch telefonisch oder per E-Mail berät.

Die unabhängige Organisation «Schweizerische Arbeitsgemeinschaft Hilfsmittelberatung für Behinderte und Betagte (SAHB)» hilft, wenn Betroffene ihre Wohnsituation überprüfen lassen möchten oder wenn es um Fragen zu Finanzierungsmöglichkeiten geht (www.sahb.ch).

«Procap» ist der grösste Mitgliederverband von und für Menschen mit Behinderungen in der Schweiz. «Procap» bietet verschiedene Beratungen und Unterstützung an. Es gibt z.B. Rechtsberatung, Unterstützung bei der Suche nach hindernisfreien Wohnung, Angebote zu bedürfnisgerechten Reisen oder verschiedene Sportgruppen bzw. Bewegungstreffs (www.procap.ch).

Schule, Ausbildung und Beruf

SMA reduziert die Mobilität und kann auch die Atmung sowie die Sprech-, Kau- und Schluckfunktionen einschränken. Die geistige Leistungsfähigkeit wird durch die Erkrankung nicht beeinträchtigt. Es gibt sogar Hinweise, dass Menschen mit SMA leicht überdurchschnittliche kognitive Leistungen erbringen.

Daher ist eine gute schulische Bildung und intellektuelle Förderung von SMA-betroffenen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen von grösster Bedeutung. Es gibt zahlreiche Beispiele von SMA-Betroffenen, die eine Berufslehre oder ein Studium absolviert haben und beruflich erfolgreich sind. Viele Menschen mit SMA engagieren sich gesellschaftlich, politisch und/oder in der Selbsthilfe.

Chancen durch Ausbildung oder Studium

Auf dem Portal www.myhandicap.ch finden Sie umfassende Informationen zu Schule, Ausbildung, Studium und Beruf. Ausserdem bietet die Webseite Jobangebote für Menschen mit Behinderungen.

Partnerschaft, Sexualität und Kinderwunsch

Wie fast alle Menschen wünschen sich auch SMA-Betroffene Nähe, Partnerschaft und Intimität. Es gibt grossartige Partnerschaften und Liebesgeschichten von SMA-Betroffenen. Bei Betroffenen, die im Alltag von Assistenzpersonen unterstützt und betreut werden, kann es zunächst gewöhnungsbedürftig für das Paar sein, dass fast immer jemand Drittes – eine Assistenzperson – anwesend ist.

SMA-Betroffene mit Kinderwunsch können mit ihrem Ärzteteam über dieses Thema sprechen und eine humangenetische Beratung in Anspruch nehmen. Hierbei werden die zukünftigen Eltern über die Möglichkeiten (z.B. Pränataldiagnostik) und etwaige Risiken informiert. Ein Austausch mit anderen Frauen und Männern in ähnlichen Situationen ist auch via diagnosespezifischen Patientenorganisationen (z.B. SMA Schweiz) möglich.

Ist eine Schwangerschaft bei SMA möglich? Es gibt Frauen, die trotz SMA Kinder geboren haben. Frauen, die aufgrund ihrer SMA-Erkrankung nie gehen gelernt haben, sollten sich aufgrund ihrer Rumpfmuskelschwäche auf eine Risikoschwangerschaft und in den meisten Fällen auf eine operative Entbindung (Kaiserschnitt) einstellen. Rollstuhlpflichtige Frauen sollten vor einer geplanten Schwangerschaft ihre Lungenfunktion überprüfen lassen, da eine Schwangerschaft mit erhöhten Anforderungen an das Herz-Kreislauf-System und damit auch an die Lungenleistung verbunden ist. Bei hochgradiger Einschränkung der Lungenfunktion sollten die möglichen Risiken bei einer Schwangerschaft im Einzelfall sorgfältig abgewogen werden.

Von SMA betroffene Männer mit Kinderwunsch sollten dieses Thema mit ihrem Arzt besprechen. Zusätzlich ist ein Beratungstermin in einer humangenetischen Beratungsstelle sehr empfehlenswert.

Erklärungen zur genetischen Vererbung der SMA auch unter Wie wird die SMA vererbt?

Was bedeutet die Diagnose «SMA» für die Familie?

Die Diagnose «SMA» hat nicht nur für den Betroffenen enorme Auswirkungen, sondern auch auf seine Eltern, Geschwister und Grosseltern sowie das gesamte soziale Umfeld.

Eltern erleben nach der Diagnosestellung oft die schlimmste Phase ihres Lebens, weil sie befürchten müssen, dass ihr Kind wichtige motorische Funktionen nie erlernen oder wieder verlieren wird oder dass es möglicherweise nur kurze Zeit leben wird. Zu diesem enormen psychischen Stress kommen die körperliche Belastung (z.B. durch gestörten Schlaf, wenn z.B. das Kind mehrmals pro Nacht im Bett umgelagert bzw. gedreht werden muss) und zeitliche Anforderungen durch die intensive Pflege und Hilfestellungen im Alltag und durch zahlreiche Arzt- und Therapietermine. Nicht zuletzt geraten manche Familien in eine finanzielle Schieflage, weil die Berufstätigkeit der Eltern eingeschränkt oder teilweise sogar ganz aufgegeben werden muss.

Angesichts dieser zahlreichen Herausforderungen ist es wichtig, sich gut aufgehoben und begleitet zu wissen. Eltern eines von SMA-betroffenen Kindes sollten unbedingt versuchen auch auf ihre eigenen Bedürfnisse zu achten und sich bewusst Zeit für sich selbst, den Partner und die gesunden Kinder zu nehmen. Falls Sie Mutter oder Vater eines SMA-Kindes sind: Zögern Sie nicht, alle vorhandenen Unterstützungsmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen! Machen Sie sich kundig, welche Hilfen und Betreuungsmöglichkeiten es durch Behörden, Fachdienste oder Elternvereinigungen gibt – in unserem Kapitel Informieren finden Sie zahlreiche Hinweise und Links. Auch Grosseltern, Familie, Freunde und Nachbarn können eine gute Stütze sein und bei der Betreuung des Kindes mit SMA helfen.

Kinder mit SMA sollten altersgerecht und in kindgerechter Sprache über ihre Erkrankung informiert werden. Unterstützung hierbei können z.B. der behandelnde Arzt liefern. Wenn das Kind bereits sprechen kann, sollte man es ermutigen Fragen, Gefühle und Ängste offen zu anzusprechen. Der behandelnde Arzt kann helfen um zusätzliche psychologische Unterstützung zu bekommen.

Geschwisterkinder im Blick behalten

Geschwister von Kindern mit einer Behinderung oder chronischen Erkrankung geraten angesichts der speziellen Situation der Familie manchmal etwas in den Hintergrund. So wird von gesunden Kindern oft erwartet, dass sie möglichst wenig «Probleme machen», die Eltern nicht noch zusätzlich belasten und den kranken Bruder oder die kranke Schwester schützen und unterstützen.

Es ist wichtig, dass gesunde Kinder in altersgerechter Sprache über die Behinderung oder Krankheit des Geschwisters informiert und dazu ermutigt werden, ihre Fragen und Gefühle zu äussern. Kinder, die für ihre kranke Schwester oder ihren kranken Bruder Unterstützung, Hilfe oder Verzicht leisten, sollten von den Eltern und Grosseltern Wertschätzung und Dank erfahren.

Auch die gesunden Kinder brauchen Zeit und Aufmerksamkeit der Eltern. Daher ist es wichtig, dass die Eltern in der Betreuung des kranken Kindes entlastet werden, um mit ihren gesunden Kindern etwas Schönes unternehmen zu können. Vielleicht ist es hierfür z.B. möglich, dass Verwandte oder Bekannte für einige Stunden die Betreuung des Kindes mit SMA übernehmen, sodass ein „kleiner“ Freiraum geschaffen werden kann. Geschwisterkinder sollten auch dazu ermuntert werden, Freundschaften, Aktivitäten und Hobbys zu pflegen. Bei Anzeichen seelischer Überlastung sollten Geschwisterkinder rechtzeitig fachliche Hilfe erhalten.

Welche Bedeutung die Behinderung von Bruder oder Schwester für das eigene Leben und die eigene Identität hat, wird vielen Geschwisterkindern erst klar, wenn sie selbst Jugendliche oder junge Erwachsene sind und sich mit Themen wie Ablösung von der Familie, Berufs- und Partnerwahl beschäftigen.

Das Projekt „Geschwisterkinder“ hat zum Ziel, die psychische Gesundheit und seelische Entwicklung von Geschwistern eines behinderten/erkrankten Kindes zu fördern. Weitere Informationen, eine Broschüre zum Download sowie einen Film finden Sie auf www.geschwister-kinder.ch.

Zusammenfassung
Die spinale Muskelatrophie führt zu unterschiedlich ausgeprägten Einschränkungen motorischer Fähigkeiten. Gerade bei stärkerer Ausprägung ist die SMA eine grosse Herausforderung für den Betroffenen und auch für seine Familie und Freunde. Es gibt zahlreiche Unterstützungsangebote und Hilfsmittel, die den Alltag mit SMA erleichtern. Betroffene Familien sollten nicht zögern, Hilfe anzunehmen.