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Wie wird SMA diagnostiziert und behandelt?

Da SMA eine seltene Erkrankung ist und die Symptome zunächst häufig nicht eindeutig sind, verstreicht oft viel Zeit, bis die korrekte Diagnose gestellt wird. Die Therapie der Erkrankung erfordert das Fachwissen und die Erfahrung eines ganzen Behandlungsteams aus unterschiedlichen Fachrichtungen.

Ein Gentest bringt Gewissheit

Wenn ein Baby oder Kleinkind durch Muskelschwäche und Muskelschlaffheit (Hypotonie) auffällt, sollte die Verdachtsdiagnose spinale Muskelatrophie (SMA) in Betracht gezogen werden. In den meisten Fällen liegt eine symmetrische (in beiden Körperhälften) Muskelschwäche vor, die in den Beinen stärker ausgeprägt ist als in den Armen.

Eltern berichten jedoch nicht selten, dass bei ihrem Kind die Diagnose erst nach Aufsuchen verschiedener Ärzte und Physiotherapeuten gestellt wurde – was unter anderem daran liegt, dass die Erkrankung sehr selten auftritt und es nur wenige Experten auf diesem Gebiet gibt.

Diagnostische Sicherheit kann eine molekulargenetische Untersuchung (Gentest) bringen, die bei Kindern und Erwachsenen mit entsprechenden körperlichen Anzeichen durchgeführt werden kann. Eltern und Betroffene können sich hierfür an den behandelnden Arzt bzw. einen Neuropädiater (Kinderneurologen) / Neurologen (z.B in einem Universitätsspital oder Kinderspital) wenden: www.muskelgesellschaft.ch & https://www.fsrmm.ch. Für den Gentest in der Schweiz ist eine Blutentnahme erforderlich. Experten in einem humangenetischen Institut können feststellen, ob das SMN1-Gen vorliegt, fehlt (deletiert) oder verändert (mutiert) ist und wie viele SMN2-Genkopien bei dem getesteten Kind oder Erwachsenen vorhanden sind. Das Ergebnis des Gentests liegt nach spätestens zwei Wochen vor.

Wird bei einem Kind SMA diagnostiziert, können die Eltern verschiedene Hilfsangebote in Anspruch nehmen. So können sich betroffene Eltern z.B. an eine Patientenorganisation wenden, um sich zu informieren und Unterstützung bei der Bewältigung des Alltags zu erhalten. Sehen Sie dazu «Hilfreiche Links».

Gibt es ein Medikament zur Behandlung von SMA?

Wenn keine Behandlung erfolgt, ist die Lebenserwartung vor allem bei Betroffenen mit SMA Typ I meist stark eingeschränkt, wobei Infektionen der Lunge zu den Haupttodesursachen zählen. Durch die Schwächung der Atemmuskulatur können viele SMA-Betroffene weder tief atmen noch kräftig abhusten, was Infekte der Atemwege und der Lunge begünstigt, da sich Sekret (Schleim) festsetzen kann.

In den vergangenen Jahren gab und gibt es grosse Forschungsaktivitäten verschiedener Pharmaunternehmen, die darauf abzielen, Medikamente für die Behandlung der SMA zu entwickeln. In der Schweiz sind drei Medikamente zur Behandlung der SMA zugelassen.

Eines dieser Medikamente wird vom Arzt wiederholt ins Nervenwasser des Rückenmarks gespritzt. Dazu ist eine Lumbalpunktion erforderlich, d.h. der Arzt sticht mit einer Punktionsnadel in Höhe der Lendenwirbelsäule in den Rückenmarkskanal und injiziert das Medikament. Das Medikament bewirkt, dass das SMN2-Gen vermehrt funktionsfähiges SMN-Protein herstellen kann und wird als Spleissmodifikator bezeichnet.

Das zweite Medikament ist eine Lösung und wird einmal täglich oral (über den Mund) eingenommen. Dieses Medikament ist ebenfalls ein Spleissmodifikator, der bewirkt, dass das SMN2-Gen vermehrt funktionsfähiges SMN-Protein herstellen kann.

Das dritte Medikament ist eine Gentherapie, die bis zu einem Alter von zwei Jahren verabreicht werden darf. Dabei wird eine funktionsfähige Kopie des SMN1-Gens intravenös in die Körperzellen des SMA-Patienten eingeschleust. Diese intakte Kopie ersetzt das defekte SMN1-Gen, wodurch ausreichend SMN-Protein gebildet werden kann.

Ein Team von Experten ist gefragt

Mit der Diagnose SMA ergeben sich vielfältige Herausforderungen auf unterschiedlichen Gebieten. Denn die Erkrankung führt nicht nur zu Muskelschwäche sondern auch zu weiteren Problemen wie Schwierigkeiten beim Essen und Schlucken, Beeinträchtigung der Atmung, Wirbelsäulenverkrümmung (Skoliose), Gelenkfehlstellungen und -versteifungen (Kontrakturen), Knochenbrüchigkeit, Fatigue (krankheitsbedingte Müdigkeit) und Ermüdbarkeit, Schmerzen, psychologischen Problemen, Zahnfehlstellungen. Daher sollten SMA-Betroffene von einem interdisziplinären Team betreut werden, wobei wichtig ist, dass bei einem Arzt (z.B. beim Neurologen oder Neuropädiater) „alle Fäden zusammenlaufen“.

Zum Betreuungsteam gehören üblicherweise Ärzte verschiedener Fachrichtungen (Neurologe/Neuropädiater, Pneumologe, Orthopäde etc.) und weitere Experten wie Physiotherapeuten/Atemtherapeuten, Logopäden, Ergotherapeuten, Orthopädietechniker, Ernährungsberater und andere. Die weltweit anerkannten «International Standards of Care for SMA» (engl.; deutsch «Standards der Versorgung») – https://treat-nmd.org und Webversion: https://smacare.guide/ – geben Hinweise, dass ein proaktiver Behandlungsansatz einschliesslich konsequenter Physiotherapie das Leben der SMA-Betroffenen positiv unterstützen kann.

Zur Beurteilung der Erkrankung und des Krankheitsverlaufs setzen Ärzte und Physiotherapeuten verschiedene Tests ein, mit deren Hilfe sie die motorischen Fähigkeiten und Entwicklungen des SMA-Betroffenen erfassen können. Es sind standardisierte Messskalen basierend auf der Beobachtung der Bewegungsfähigkeit (motorische Fähigkeit) des Betroffenen. Die Durchführung dieser Tests und Skalen ist für die Betroffenen schmerzfrei. 

Die zunehmende Schwäche der Atemfunktion führt bei vielen SMA-Betroffene zu einer Sauerstoffunterversorgung in der Nacht und zu Tagesmüdigkeit. Um diese Schwäche frühzeitig festzustellen, ist eine regelmässige Untersuchung in einem Schlaflabor (Polysomnographie) geeignet. Dies erfordert eine entsprechende Abklärung und gegebenenfalls den Beginn einer Heimbeatmung. Diese erfolgt meist mittels BiPAP (engl. Bilevel Positive Airway Pressure). Das BiPAP ist ein Beatmungsgerät für die Beatmung zu Hause mit zwei unterschiedlichen Druck-Niveaus, welches aus der CPAP-Beatmung (engl. Continuous Positive Airway Pressure) entwickelt wurde. Anders als bei der reinen CPAP-Beatmung liegt während des Ausatmens der zweite, niedrigere Druck an, was das Ausatmen erleichtert.

Zusätzlich können mittels medizinischer Geräte (z.B. Hustenassistent; engl. «Cough Assistant») die Atemwege von Schleim und Sekret befreit werden, indem das schnelle und tiefe Ein- und Ausatmen durch eine Maske über Mund und Nase erleichtert wird. Dies ist hilfreich, wenn der Betroffene selbst nicht ausreichend (ab)husten kann, um Schleim zu lösen.

Ausserdem können Atemtherapie und Impfungen gegen häufige Erreger von Atemwegsinfektionen vorbeugend gegen schwere Atemwegsinfekte eingesetzt werden.

Nicht selten entwickeln Menschen mit SMA eine zunehmende Wirbelsäulenverkrümmung (Skoliose), welche die Atemfunktion und auch sonstige Körperfunktionen zusätzlich einschränkt. Es gibt verschiedene Möglichkeiten mit der Skoliose umzugehen: So kann vorerst z.B. durch die Anfertigung eines Spezialkorsetts mehr Halt erzielt werden. Bei schwerer Ausprägung der Wirbelsäulenverkrümmung kann zunächst vor allem bei Kindern zusätzliche Stabilität durch das operative Einsetzen von stützenden Metallstäben erzielt werden. Diese schränken das Wachstum nicht oder nur kaum ein. Eine besondere Variante der Metallstäbe sind mitwachsende Magnetstäbe, die nicht-invasiv mittels eines Magneten verlängert werden können. Zu einem späteren Zeitpunkt kann auch eine operative Wirbelsäulenversteifung in Betracht kommen. Diese kann den Rumpf langfristig stabilisieren. Ein Team von Ärzten wird hier gemeinsam mit dem Betroffenen sowie den Angehörigen über das beste Vorgehen entscheiden.

Physiotherapie als wichtiger Bestandteil der Behandlung

Ein wichtiger Baustein im Behandlungsplan von Menschen mit SMA ist die Physiotherapie. Sie verfolgt mehrere Ziele:

  • Erhalt von Ausdauer und Leistungsfähigkeit der Muskulatur
  • Hinauszögern von Gelenkfehlstellungen (Kontrakturen) und Wirbelsäulenverkrümmungen
  • Verbesserung, Schulung und Erhalt der Atem-, Stimm- und Schluckfunktion
  • Anregung des Herz-Kreislauf-Systems
  • Auswahl und Handhabung von geeigneten Hilfsmitteln (z.B. Sitz-, Steh- und Gehhilfen, Rollstuhl, Toiletten- und Badehilfen)
Zusammenfassung

SMA kann mithilfe eines Gentests diagnostiziert werden. Drei Medikamente zur Behandlung der SMA sind in der Schweiz bereits zugelassen, weitere befinden sich in der Entwicklung. Zum SMA-Behandlungskonzept zählen je nach Beschwerden des Betroffenen auch Physiotherapie, Logopädie, Ernährungsmedizin und weitere Verfahren. In den «International Standards of Care for SMA» – smauk.org und Webversion: https://smacare.guide/ – wurde zuletzt 2017 festgehalten, wie eine Behandlung der SMA verlaufen sollte.